Heft 6/2022 (Juni 2022)

Zuständigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Änderung, Prüfung
EuGH, Urteil vom 7.4.2022, Rechtssache C-645/20
1. Art. 4 und Art. 10 EuErbVO sind gleichwertige Zuständigkeiten.
2. Das Gericht eines Mitgliedstaates ist in Ansehung des unstreitigen Sachverhalts gehalten, seine Zuständigkeit von Amts wegen festzustellen.
3. Art. 10 Abs. 1 Buchst. a EuErbVO ist dahin auszulegen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen hat, auch wenn die Beteiligten von einer Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO ausgegangen sind und sich dies nachträglich als unzutreffend erwiesen hat.
4. Die Berufung eines Beteiligten auf Art. 10 EuErbVO bedarf es nicht.
(Leitsätze der Schriftleitung)

Vertretungsausschluss, Vater, Mutter, gemeinsame elterliche Sorge, nicht verheiratet
BGH, Beschluss vom 24.3.2021, XII ZB 364/19
a) Im Vaterschaftsanfechtungsverfahren sind der mitsorgeberechtigte rechtliche Vater und die mit ihm verheiratete Mutter von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen (im Anschluss an Senats­beschlüsse BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 [= Rpfleger 2012, 439] und vom 2.11.2016 – XII ZB 583/15 – FamRZ 2017, 123 [= Rpfleger 2017, 210]). Ist die Mutter hingegen mit dem rechtlichen Vater nicht (mehr) verheiratet, ist sie vom gesetzlichen Sorge­rechtsausschluss nicht betroffen, sodass das Kind von ihr
allein vertreten wird (Aufgabe von BGH, Urteil vom 14.6.1972 – IV ZR 53/71 – FamRZ 1972, 498).
b) Die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater ist unbegründet, wenn zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht, auch wenn eine solche zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags noch nicht vorlag (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15.11.2017 – XII ZB 389/16 – FamRZ 2018, 275 und Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538).

Fortsetzung einer wegen mangels Insolvenzmasse aufgelösten GmbH
BGH, Beschluss vom 25.1.2022, II ZB 8/21
Wird eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch die rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst, kann sie nicht fortgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft über ein das satzungsgemäße Stammkapital übersteigendes Vermögen verfügt und die Insolvenzgründe beseitigt wurden.

Auslegung einer vor der Verschmelzung abgegebenen Bewilligung
KG, Beschluss vom 24.3.2022, 1 W 2/22
Bewilligt der Erwerber eines Grundstücks bzw. Wohnungseigentums in Vollmacht des Veräußerers die Eintragung einer Grundschuld und wird die dort benannte Gläubigerin in der Folgezeit auf einen anderen Rechtsträger verschmolzen, kann die Bewilligung dahin ausgelegt werden, dass der aufnehmende Rechtsträger als Gläubiger der Grundschuld im Grundbuch einzutragen ist (Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3.3.2021 – 3 W 233/20 – juris; Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.8.2020 – I-3 Wx 125/20 – ZIP 2020, 1915 = FGPrax 2021, 7 = MittBayNot 2021, 153).

Massezugehörigkeit einer Einkommenssteuerrückerstattung
BGH, Urteil vom 13.1.2022, IX ZR 64/21
Wird dem Schuldner im laufenden Insolvenzverfahren die Restschuldbefreiung erteilt, gehört der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb des Schuldners, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens vor Ablauf der Abtretungsfrist verwirklicht worden ist.

Nachlasspflegschaft, Sparbuch, Hinterlegung, hinreichende Sicherung, Kontoguthaben
OLG Naumburg, Beschluss vom 3.1.2022, 2 VA 1/21
1. Wird im Rahmen einer Nachlasspflegschaft ein Sparkonto für die unbekannten Erben eröffnet und werden die Erlöse aus der Verwertung der Nachlassgegenstände auf diesem Sparkonto angelegt, so wird mit der Hinterlegung des kontozugehörigen Sparbuchs beim Amtsgericht eine hinreichende Sicherung des Nachlasses bewirkt.
2. Für eine (zusätzliche) Hinterlegung des Kontoguthabens besteht regelmäßig kein Hinterlegungsgrund i.S.v. § 7 HintG LSA 2010.

Weisung an des Vollstreckungsgerichts an Zwangsverwalter
AG Mönchengladbach-Rheydt, Beschluss vom 14.1.2022, 503 L 001/21
1. Das Vollstreckungsgericht kann im Rahmen seiner Weisungsbefugnisse aus § 153 Abs. 1 ZVG lediglich diejenigen materiell-rechtlichen Streitigkeiten entscheiden, deren Ergebnis offensicht- lich ist.
2. Von einer solchen Offensichtlichkeit ist auszugehen, soweit der Sachverhalt ohne weiteres feststellbar ist und sich das Ergebnis unzweifelhaft dem Gesetz entnehmen lässt oder eine durch Obergerichte gestützte herrschende Meinung besteht.
(Leitsatz der Schriftleitung)

Auslagenerstattung für Zustellungen durch Insolvenzverwalter
AG Ludwigshafen am Rhein, Beschluss vom 14.2.2022, 3 b IK 26/21 Lu
1. Der Insolvenzverwalter hat im Rahmen einer Übertragung der Zustellung nach § 8 Abs. 3 InsO lediglich einen Anspruch auf Festsetzung der Zustellungsauslagen ab der 11. von ihm bewirkten Zustellung im Rechtszug.
2. Bei einer Überschreitung der Grenze von zehn Zustellungen nach Nr. 9002 KV GKG sind die ersten zehn Zustellungen nicht abzugelten.
3. Bei der Berechnung der Anzahl der Zustellungen im Verfahren gem. § 4 Abs. 2 S. 2 InsVV i.V.m. Nr. 9002 KV GKG bleiben für den Insolvenzverwalter die von der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts bewirkten Zustellungen außer Betracht.

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