Heft 3/2016 (März 2016)
Vorschau
Jörg Felix: Die Vergütung von berufsmäßigen Verfahrenspflegern und Verfahrensbeiständen
Udo Hintzen: Die Entwicklung im Zwangsvollstreckungsrecht seit 2014
Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke
EuGH (1. Kammer), Urteil vom 11.11.2015, Rs. C-223/14
1. Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates ist dahin auszulegen, dass der Begriff „außergerichtliches Schriftstück“ in diesem Artikel nicht nur von einer Behörde oder einer Amtsperson erstellte oder beglaubigte Schriftstücke erfasst, sondern auch private Schriftstücke, deren förmliche Übermittlung an ihren im Ausland ansässigen Empfänger zur Geltendmachung, zum Beweis oder zur Wahrung eines Rechts oder Anspruchs in Zivil- oder Handelssachen erforderlich ist.
2. Die Verordnung Nr. 1393/2007 ist dahin auszulegen, dass die Zustellung eines außergerichtlichen Schriftstücks nach Maßgabe der in dieser Verordnung festgelegten Modalitäten auch dann zulässig ist, wenn der Antragsteller bereits eine erste Zustellung auf einem in der Verordnung nicht vorgesehenen Übermittlungsweg oder auf eine andere der in der Verordnung vorgesehenen Übermittlungsarten bewirkt hat.
3. Art. 16 der Verordnung Nr. 1393/2007 ist dahin auszulegen, dass, wenn alle Voraussetzungen für seine Anwendung erfüllt sind, nicht im Einzelfall zu überprüfen ist, dass die Zustellung eines außergerichtlichen Schriftstücks einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.
Fortbestand der Erbengemeinschaft
BGH, Beschluss vom 22.10.2015. V ZB 126/14
a) Übertragen Miterben ihre Anteile am Nachlass jeweils zu gleichen Bruchteilen auf mehrere Erwerber, entsteht eine Bruchteilsgemeinschaft nur an den Erbteilen. Hinsichtlich des Nachlasses bleiben die Inhaber der Erbteile gesamthänderisch verbunden.
b) Befindet sich im Nachlass ein Grundstück, werden die Erwerber deshalb mit dem Zusatz „in Erbengemeinschaft“ als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Ihre Eintragung als Miteigentümer ist nur nach entsprechender Auflassung möglich.
Betreuervergütung, erhöhter Stundensatz
BGH, Beschluss vom 14.10.2015, XII ZB 186/15
a) Ein Betreuer, der berufsbegleitend an einem Studieninstitut für kommunale Verwaltung den „Angestelltenlehrgang II“ mit einem Gesamtaufwand von 1.050 Stunden und dem erfolgreichen Abschluss zum „Verwaltungsfachwirt“ absolviert hat, kann seiner Vergütung nicht einen Stundensatz nach der höchsten Vergütungsstufe von 44 Euro zugrunde legen, weil seine Ausbildung nicht mit einer abgeschlossenen Hochschulausbildung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 VBVG vergleichbar ist.
b) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Abschluss zum geprüften Fachwirt im Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) mit dem Bachelor-Abschluss auf der gleichen (sechsten) Niveaustufe eingeordnet worden ist.
Keine Amtsermittlungspflicht, Anfechtung der Erbschaftsannahme
BGH, Beschluss vom 2.12.2015, IV ZB 27/15
Das Nachlassgericht hat im Falle einer Anfechtung der Annahme einer Erbschaft gemäß §§ 1954, 1955, 119 BGB im Rahmen der Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG nicht von sich aus zu erforschen, ob zur Anfechtung berechtigende Tatsachen vorliegen, die der Anfechtende selbst nicht behauptet. Werden andere als die in der ursprünglichen Anfechtungserklärung genannten Gründe geltend gemacht, liegt eine neue Anfechtungserklärung vor, deren Rechtzeitigkeit nach dem Zeitpunkt ihrer Abgabe zu beurteilen ist.
Kostenfestsetzung, zweckentsprechende Rechtsverfolgung
BAG, Beschluss vom 18.11.2015, 10 AZB 43/15
Der obsiegenden Partei sind im Berufungsverfahren die Anwaltskosten auch dann zu ersetzen, wenn eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG bereit gewesen wäre, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen.
Nachweis d. Erbfolge z. Grundbuchberichtigung
OLG München, Beschluss vom 28.10.2015, 34 Wx 92/14 (+)
Für den zur Grundbuchberichtigung erforderlichen Nachweis der Erbfolge bei vorbehaltenem Rücktritt im Erbvertrag ist neben der Vorlage der notariellen Urkunde und der Eröffnungsniederschrift jedenfalls nach Einführung des Zentralen Testamentsregisters keine eidesstattliche Versicherung mehr dazu erforderlich, dass das Rücktrittsrecht nicht ausgeübt wurde (Abweichung von Senat vom 3.11.2011, 34 Wx 272/11; Anschluss an OLG Düsseldorf vom 25.4.2013, I-3 Wx 219/12 [= Rpfleger 2013, 608]).
Mindestverbüßungsgebot
OLG Dresden, Beschluss vom 12.10.2015, 2 VAs 19/15
1. § 89a Abs. 1 S. 4 JGG enthält keine materiell-rechtliche Mindestverbüßungsanordnung in dem Sinne, dass zunächst stets sechs Monate eines widerrufenen Jugendstrafrestes zu vollstrecken seien, bevor eine (erneute) Aussetzung dieses Restes erfolgen könne. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der systematischen Gliederung der Vorschrift.
2. Auch der widerrufene Rest einer Jugendstrafe ist wie ein Strafrest nach allgemeinem Strafrecht bei entsprechend günstiger Kriminalprognose sofort, d.h. jederzeit und ohne sechsmonatige (An)Vollstreckung erneut aussetzungsfähig.
3. § 89a Abs. 1 S. 4 JGG stellt als eine im Jugendrecht privilegierende Ausnahme von dem nach allgemeinem Prozessrecht grundsätzlich geltenden Unterbrechungsverbot für widerrufene Strafreste (§ 454b Abs. 2 S. 2 StPO) eine „bloß“ verfahrensrechtliche Regelung dar. (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 14. Oktober 1999, NStZ-RR 2000, 381)
4. In Ermangelung eines materiell-rechtlichen Gehalts (als Mindestverbüßungsgebot) ist § 89a Abs. 1 S. 4 JGG in Fällen der rechtskräftigen Ausnahme eines Verurteilten aus dem Jugendstrafvollzug mit anschließender Übertragung der Vollstreckungszuständigkeit auf die Staatsanwaltschaft bereits nach § 85 Abs. 6 S. 2 JGG nicht mehr anwendbar. Auf eine (nicht mehr vorhandene) Erreichbarkeit des aus dem Jugendstrafvollzug ausgenommenen Verurteilten für den im Jugendstrafrecht vorherrschenden Erziehungsgedanken kommt es gar nicht an (entgegen LG Karls ruhe, Beschluss vom 30. September 2010, NStZ-RR 2011, 155 f.).